Während Fans beim Fußball mitfiebern, winkt die Politik Gesetze während der WM durch. Es hat Tradition, unpopuläre Entscheidungen im Windschatten der WM zu verabschieden.
Gesetze, die während der WM durchgewinkt wurden: Parteienfinanzierung
Pünktlich zum WM-Eröffnungsspiel verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen der großen Koalition eine Änderung des Parteiengesetz (§ 18 PartG). Dieses Gesetz, das während der WM beschlossen wurde, regelt Fragen der Parteienfinanzierung. Das heißt übersetzt: Politiker genehmigen sich mehr Geld für ihre Parteien.
Aktuelles Beispiel: Gesetz zur Parteienfinanzierung
Die Obergrenze für staatliche Zuschüsse an politische Parteien steigen: 2019 um 18 % von 165 Millionen auf 190 Millionen Euro. Ein Skandal, findet die Opposition, obwohl auch sie profitiert. So dauerte der gesamte Gesetzgebungsprozess nicht einmal zwei Wochen. Und die Koalitionspartner haben sich nicht wie sonst bei Parteienfinanzierungen mit der Opposition abgestimmt.
Gesetze während der WM verabschiedet und trotzdem ein breites Medienecho
Die zentrale Frage lautet: Steckt eine Strategie dahinter? Denken Politiker tatsächlich, dass Gesetze, die während der WM durchgedrückt werden, von der Öffentlichkeit unbemerkt bleiben. Viele Medien von „Huff Post“ über „Handelsblatt“ und „Frankfurter Rundschau“ glauben dies. Andere sind skeptischer: Politikwissenschaftler Stephan Bröchler (Uni Würzburg) hält ein solches „Durchregieren“ für wenig realistisch. Er glaubt vielmehr, dass vor allem Verschwörungstheoretiker solche Thesen verbreiten.
Politische Prozesse sehr komplex und wenig planbar
Der Grund: Ein gezielter Termin für Gesetzesänderungen direkt vor Weltmeisterschaften sei wenig realistisch. Die politische Planung sei schlicht zu komplex, als dass Gesetze während der WM so einfach beschlossen werden können. Außerdem: Es gibt schließlich trotz der WM ein riesiges Medienecho zu den Plänen. „Bild“ und „Süddeutsche“ haben über den Entwurf bereits am Zeitpunkt der Veröffentlichung (5. Juni 2018) berichtet, zehn Tage vor dem Start des WM-Turniers.
Gesetze während der WM beschlossen: Schon früher wurden „schräge“ Beschlüsse durchgedrückt
Nicht zum ersten Mal wurden unpopuläre Gesetze während der WM beschlossen. Doch es lohnt immer der zweite Blick: So wurde die Mehrwertsteuer während des „WM-Sommermärchens“ am 16. Juni 2006 angehoben, veröffentlicht unter dem Namen „Haushaltsbegleitgesetz 2006“. Als Ziel der damaligen Regierung stand sie aber schon im November 2005 fest. Der Gesetzentwurf hierzu veröffentlichten die Parteien bereits am 17. März 2006. Die Abstimmung selbst erfolgte am 19. Mai 2006 und damit drei Wochen vor dem Start der Fußball WM.
Erhöhung der Krankenkassenbeiträge zur WM 2010
Weiteres Beispiel: Die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge zur WM 2010. Auch diese hatten eine lange „Geschichte“. Die CDU/CSU/FDP-Koalition brachte den Gesetzentwurf einen Tag vor dem Halbfinale Deutschland gegen Spanien ein. Bis das Gesetz zur Finanzierung der Kassen verabschiedet wurde, dauerte es aber noch mehr als vier intensive Monate des Diskutierens. Der Name lautetet dann: Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz).
Gesetze während der WM beschlossen: Reform, die Lebensversicherungen unattraktiver macht
Gleichwohl: Es bleibt immer ein ungutes Gefühl, wenn Gesetze während der WM durchgepaukt oder zumindest vorgestellt werden. Egal, wie lange eine nötige Vorlaufzeit auch sein mag. So beschloss der Bundestag am Tage des Spiels Deutschland gegen Frankreich (Viertelfinale Weltmeisterschaft 2014) eine Reform der Lebensversicherung, das sogenannte „Gesetz zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte“. Das gesamte Gesetz ist auch bekannt unter der Bezeichnung Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG).
Die Folge des LVRG: Der Garantiezins für Neuverträge sank und Lebensversicherungen als Anlageart wurden unattraktiver. Pikant: Es wurde zwar seit Mai diskutiert, dennoch fielen Abstimmung und Gesetzentwurf exakt in die Zeit des Turniers in Brasilien.
Gesetze während der WM eingebracht: Noch mehr Beispiele
Speziell zu dieser letzten Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2014 finden sich diverse Beispiele oder Versuche, Gesetze während der WM zu präsentieren oder beschließen. Etwa die damals geplante PKW-Maut: Der damalige Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) wollte während der Fußballmatches ein Vignetten-System vorstellen. Übrigens erfolglos, nach aktuellem Stand soll 2020 ein derartiges System eingeführt werden.
Gesetze während der WM: Drohnen-Projekt von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen
Politisch hochumstritten auch ein anderes Thema: Das Drohnenprojekt von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Geplant war, am 30. Juni 2014 das Projekt vorzustellen und gesellschaftlich diskutieren zu lassen. Problem: Genau an diesem Tag fand das Achtelfinale unter deutscher Beteiligung statt, sollte Deutschland Gruppenerster werden. Eine intensive politische Diskussion dürfte an diesem Tag nicht möglich sein, so der Vorwurf an die Adresse von der Leyens.
Video: Abstimmung zum Meldegesetz und Verkauf der Daten in 57 Sekunden beschlossen
In 57 Sekunden neues Meldegesetz verabschiedet
Zur Fußball-Europameisterschaft 2012 (ausnahmsweise mal keine WM) wurde einem Entwurf zu einem neuen Meldegesetz zugestimmt. Und zwar in einer rekordverdächtigen Zeit von nur 57 Sekunden. Das Plenum war seinerzeit spärlich besetzt, weil parallel das Halbfinale Deutschland-Italien lief. Es besteht zwar keine Anwesenheitspflicht für alle Abgeordneten. Dennoch ist der Bundestag laut Geschäftsordnung erst dann beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der Abgeordneten vor Ort ist. Das kommt selten vor und beim Meldegesetz waren offenbar nur Fußball-Muffel vor Ort. Es ist deshalb verständlich, dass diese Entscheidung in nicht einmal einer Minute Politikverdrossenheit und Verschwörungstheorien aufkommen lassen. Später scheiterte der Entwurf übrigens im Bundesrat.
Gesetze während der WM gebilligt: Diesmal von der Europäischen Union
Gibt es das nur in Deutschland, fragen sich manche. Nun, auch die EU ist von Vorwürfen betroffen, Gesetze während der WM „still und leise“ zu verabschieden. Konkreter Fall ist die Urheberrechtsreform, gebilligt am 20. Juni diesen Jahres als Vorschlag des Rechtsausschusses des EU-Parlaments. In diesem Fall gilt: Beschlossen ist noch nichts. Und über den Entwurf diskutieren Parlamentarier seit dem Jahre 2016. ARD-Rechtsexperte Jan Henrich hält deshalb eine gezielte Terminverlegung in die WM-Zeit eher für unwahrscheinlich.
Gesetze während der WM nicht verabschieden?
Soll nach all den Vorfällen die Konsequenz sein, gar keine Gesetze während der WM zu verabschieden? Nein. Politiker sollten aber strittige Entscheidungen nicht mehr in die Zeit legen, wo Fans und Öffentlichkeit lieber ihre Mannschaft und das Fußballturnier feiern. Etwas mehr Fingerspitzengefühl ist gefragt, damit Verschwörungstheorien über „durchgedrückte“ Gesetze gar nicht erst aufkommen.
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