Das aktualisierte Pflegestärkungsgesetz II soll stärker auf die individuellen Bedürfnisse eingehen und damit mehr Sicherheit bieten. Doch wie sieht es wirklich mit den staatlichen Leistungen aus?
Wichtiges zur Begutachtung
Die Leistungen für pflegebedürftige Menschen sind seit 2016 neu geregelt. Hierfür gibt es eine neue Form der Begutachtung, die einerseits die Beeinträchtigungen im Detail berücksichtigt und andererseits die Fähigkeiten prüft. Bis vor einiger Zeit wurde der Hilfebedarf nur in Bezug auf bestimmte Handlungen begutachtet. Doch mit dem Beschluss vom Pflegestärkungsgesetz II, der Ende 2015 stattfand, gibt es viele Verbesserungen.
Mit dem Ende 2015 beschlossenen Pflegestärkungsgesetz II wurde ein Meilenstein gesetzt. Neben den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen profitiert auch das Pflegepersonal von den Änderungen. Dafür sorgt ein neues Verständnis vom Begriff der Pflegebedürftigkeit. Zu den wichtigen Pfeilern des Gesetzes gehört ein angepasstes Instrument für die Begutachtung:
Das Neue Begutachtungsassessment, kurz NBA, konzentriert sich auf die Einschränkung der selbständigen Tätigkeiten und Fähigkeiten der betroffenen Personen.
Gleichberechtigung in der Pflege
Das aktuelle Gesetz soll sicherstellen, dass pflegebedürftige Menschen gleichberechtigt behandelt werden. Mit der einheitlichen Gestaltung der Pflegeversicherung soll gewährleistet werden, dass auch die rund 1,6 Millionen Personen mit demenziellen Erkrankungen die erforderliche Hilfe bekommen. Die Berücksichtigung der entsprechenden Beeinträchtigungen überschreitet die Linie zwischen physischen und psychischen Erkrankungen. Im Mittelpunkt steht der Mensch, der nach Möglichkeit seine alltäglichen Verrichtungen selbst bewältigen sollte. Für Gesundheit gibt es zwar keine Garantie, doch die Gesetze können den Betroffenen das Leben leichter machen.
Durch die Aktualisierung passt sich das Pflegestärkungsgesetz II an die heutigen Pflegeansprüche an und ist somit ein wichtiger Schritt nach vorne. 93 % der Deutschen empfinden die Veränderung als positiv, wie eine Infratest-Umfrage im Herbst 2015 zeigte. In der gleichen Studie zählten 82 % der deutschen Bundesbürger die Pflege zu den wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben.
Video: Praktisch erklärt – Neuerungen in der Pflegeversicherung
Das neue Pflegestärkungsgesetz und die Anpassung der Pflegegrade
Bis 2015 gab es drei Pflegestufen, doch seit 2016 werden die Beeinträchtigungen in fünf Pflegegrade aufgeteilt. So kann die Pflegeversicherung detaillierter auf die jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden. Durch die sich verschiebende Altersstruktur sind immer mehr Menschen bezugsberechtigt. Seit 2017 können rund 500.000 Deutsche den neuen Pflegegrad 1 beanspruchen.
Das veränderte Pflegestärkungsgesetz verbessert die Bezugsleistungen, sodass keiner schlechter gestellt ist als zuvor. Es ist nicht nötig, erneut einen Antrag zu stellen, da die Umstellungen im System automatisch durchgeführt werden. Der grundsätzliche Wandel basiert auf einer sorgfältigen Vorbereitung, ob es um Rehabilitationsmaßnahmen geht, um einen Klinik- oder Hospizaufenthalt oder um kurzfristige Behandlungen.
Auch in den Pflegeheimen und bei der Übergangspflege wird die Versorgung der Pflegebedürftigen optimiert. Gleichzeitig unterliegen die Pflegekassen der Pflicht, ihre Versicherten mit primärpräventiven Leistungen zu versorgen. Hierbei geht es beispielsweise um Ernährungskurse und um Physiotherapie.
Relevante Schritte bei der Einführung des Pflegestärkungsgesetzes
In der ersten Phase vom neuen Pflegestärkungsgesetz sind viele Aspekte zu berücksichtigen. Die folgenden Schritte stehen dabei im Vordergrund:
- Das NBA und die entsprechenden Begutachtungsrichtlinien sind die Basis für detaillierte Schulungskonzepte, die von den etwa 3.500 Gutachtern aus dem Medizinischen Dienst verinnerlicht werden müssen.
- Die Versicherten, die Pflegeversicherungen, die Versichertenverbände, das Pflegepersonal und die Sozialhilfeträger brauchen eine umfassende Information über die Gesetzesänderungen.
- Eine Überprüfung und Weiterentwicklung der Personalschlüssel in den Pflegeeinrichtungen ist unverzichtbar.
Seit Beginn 2017 tritt die dritte Phase des Pflegestärkungsgesetzes in Kraft. Zu diesem Datum fand eine automatische Neueinstufung der rund 2,7 Millionen pflegebedürftigen Personen in die neuen Pflegegrade statt. Der Erlass erfolgte am 23.12.2016 und ist in BGBl. I S. 3191 nachzulesen.
Detaillierte Aufstellung der Pflegegrade
Der Grad der Pflegebedürftigkeit wird durch § 15 Abs. 3 SGB XI festgelegt. Grundsätzlich wird von Pflegebedürftigkeit gesprochen, wenn ein Gesamtpunktwert von mindestens 12,5 Punkten vorliegt.
- Pflegegrad 1 gilt für einen Punktwert von 12,5 bis unter 27; hier handelt es sich um eine nur geringe Beeinträchtigung,
- Pflegegrad 2 gilt für einen Punktwert von 27 bis unter 47,5; anspruchsberechtigt sind Personen mit erheblichen Beeinträchtigungen,
- Pflegegrad 3 gilt für einen Punktwert von 47,5 bis unter 70; betroffen sind schwere Beeinträchtigungen,
- Pflegegrad 4 gilt für einen Punktwert von 70 bis unter 90, hierbei handelt es sich um schwerste Beeinträchtigungen,
- Pflegegrad 5 gilt für einen Punktwert von 90 bis 100, das heißt, es liegen schwerste Beeinträchtigungen vor, wodurch spezielle Anforderungen an die Pflege und Versorgung gestellt werden.
Der Pflegegrad 5 bedeutet einen extrem hohen Unterstützungsbedarf. Auch ohne Erreichen der 90 Gesamtpunkte erhalten die Betroffenen diesen höchsten Pflegegrad. Die Konstellation liegt dann vor, wenn man die Fähigkeit zum Greifen, Stehen und Gehen vollkommen verloren hat.
Wenn Kinder bis zum Alter von 18 Monaten pflegebedürftig sind, erfolgt eine Einstufung auf einen höheren Pflegegrad.
Die pflegerische Versorgung
Auf der Grundlage der Begutachtungen und mit dem umfassenden Gesetzgebungsverfahren wird die pflegerische Versorgung nach und nach aufgerüstet. Diese Stärkung in den Kommunen verbessert die Möglichkeiten bei der Betreuung. Es werden mehr Pflegestützpunkte gegründet, außerdem gibt es Modellprojekte zur individuellen Beratung der Bürger. Bei diesen Vorhaben stehen auch die Pflegekassen in der Pflicht, sich zu beteiligen und die Bedingungen zu verbessern.
Begleitet wird die Realisierung des Pflegestärkungsgesetzes durch einen Beirat. Dieses gesetzlich begründete Gremium setzt sich aus Verbänden, Selbsthilfeorganisationen, Pflegekassen, pflegerischen Vertretern, Mitgliedern der Kommunen und Länder sowie aus wissenschaftlichen Experten zusammen.
Gemeinsam versuchen die Vertreter, die einzelnen Bereiche zu verbessern, ob es um die Personalbemessung geht oder um die Qualitätssicherung.
Unter anderem kamen die folgenden Optimierungen dabei heraus:
- Für Umbauten zur Barrierefreiheit gibt es höhere Zuschüsse von bis zu 4.000 Euro,
- die Pflegesachleistungen wurden schon 2015 angehoben,
- um Hilfsmittel zu erhalten, muss man seit Januar 2017 keine Anträge mehr stellen, wenn der Medizinische Dienst die Gehhilfen oder Sicherheitsstühle empfiehlt,
- die Tages- und Nachtpflege wird ausgebaut, ohne die Verrechnung von Sachleistungen und Geld.
Schwierigkeiten bei der Verbesserung im pflegerischen Bereich
Die Verbesserung des Beratungsangebotes ist ein wichtiger Punkt bei der Umstrukturierung im Pflegestärkungsgesetz. Hier gibt es jedoch ebenso wie bei den direkten pflegerischen Tätigkeiten gewisse Personalengpässe. Inzwischen ist dieses Thema auch bei der Regierung angekommen. Im Rahmen der Selbstverwaltung soll der personelle Bedarf in den stationären Einrichtungen nach einem wissenschaftlichen Verfahren genau bemessen werden. Dabei geht es auch um die Qualitätsdarstellung und eine gezielte Entscheidungsfindung.
Ein weiteres Problem besteht in der gleichmäßigen und gerechten Erfassung und Einstufung der Einschränkungen, die körperlicher, geistiger und psychischer Art sein können. Durch die Vereinheitlichung sollen auch Demenzerkrankungen stärker berücksichtigt werden. In der Folge erhalten die Demenzkranken eine bessere Versorgung, die als Basis die Beurteilung der Selbständigkeit hat.
Es gibt verschiedene Bereiche, die bei der Begutachtung eine Rolle spielen:
- Die Mobilität,
- die kognitiven sowie die kommunikativen Fähigkeiten,
- die Verhaltensweise in Abhängigkeit mit psychischen Problemen,
- die Bewältigung der krankheitsbedingten oder mit der Therapie im Zusammenhang stehenden Anforderungen,
- der Grad der Selbstversorgung,
- die Organisation im alltäglichen Leben, einschließlich der sozialen Kontakte.
Frühzeitige Unterstützung durch das Pflegestärkungsgesetz
Im Gegensatz zu früher soll das aktuelle Pflegestärkungsgesetz früher ansetzen, um die Gesundungschancen zu erhöhen. Schon bei einem nur geringen Unterstützungsbedarf kann frühzeitiges Einschreiten dabei helfen, die Erkrankung aufzuhalten. Durch eine Pflegeberatung oder Umbaumaßnahmen in der Wohnung ist es möglich, die alltäglichen Schwierigkeiten besser zu meistern.
Neben den Kranken- und Pflegekassen erhalten die Betroffenen auch vom Medizinischen Dienst (MDK) eine detaillierte Beratung. Einige Mitarbeiter des MDK haben eine spezielle Schulung absolviert, die sie dazu qualifiziert, das Umfeld der zu betreuenden Personen zu kontrollieren. Dabei werden die früheren Regeln sowie die neuen Richtlinien berücksichtigt.
Ein Projekt, das noch vor der Änderung des Pflegestärkungsgesetzes initiiert wurde, befasste sich mit der Überprüfung von Pflegeheimen. Hier ging es darum, den Versorgungsaufwand zu bemessen, der durch die fünf neuen Pflegegrade in den stationären Einrichtungen ausgelöst wurde. Dabei wurden die alten Regeln sowie die neuen Einstufungen berücksichtigt. Schon Anfang des Jahres 2015 zeigten die Ergebnisse, wie gut das aktualisierte Konzept funktioniert.
Wie sieht es mit der Finanzierung vom Pflegestärkungsgesetz aus?
Eine genaue Kostenschätzung für das Pflegestärkungsgesetz gibt es zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht. Vom Bundesministerium für Gesundheit wird bestätigt, dass eine Entlastung von zunächst 330 Millionen Euro im Jahr geplant ist, die später auf 230 Millionen Euro abgesenkt werden soll.
Die Mehrausgaben für die soziale Pflegeversicherung sollen durch die Veränderung der Versorgungsstruktur bei höchstens 10 Millionen Euro im Jahr liegen. Dazu kommen die Sozialleistungen und Pflegeleistungen, die schätzungsweise einen jährlichen Betrag von bis zu 20 Millionen erreichen sowie weitere Mehrausgaben von etwa 10 Millionen Euro.
Bei den Krankenversicherungen rechnet man mit Zusatzkosten über 650.000 Euro jährlich. Dies hängt mit den Prüfungen des MDK zusammen, die immer häufiger durchgeführt werden und mehr Aspekte umfassen als bisher.
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